Diakonie-Chef: Armut in Deutschland nicht verharmlosen
Dessau-Roßlau, am – In einem Vortrag vor der Synode der anhaltischen Landeskirche hat Oberkirchenrat Eberhard Grüneberg, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Mitteldeutschland, am Sonnabend auf die Gefahren einer zunehmenden Verarmung in Deutschland hingewiesen. „Inzwischen können sich viele Menschen nicht mehr regelmäßig die Dinge des täglichen Bedarfs leisten. Sozialkaufhäuser und Suppenküchen sind keine Einrichtungen des vergangenen Jahrhunderts mehr, sondern werden in unserem reichen Land dringend gebraucht und aufgesucht.“
Grüneberg warnte vor einer Verharmlosung des Phänomens Armut: „Für uns in der Diakonie Mitteldeutschland ist dieses Problem sehr real! Unsere Sicht beruht auf den Erfahrungen und Problemlagen, die unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den jeweiligen Arbeitsfeldern machen – in der Ehe-, Familien- und Lebensberatung, in den Kreisstellen, in den Schuldnerberatungsstellen. Sie beruht aber auch auf der statistisch nachweisbaren Entwicklung über Menschen in prekären Lebenslagen und dem Nachdenken darüber, welche Auswirkungen es auf unsere Gesellschaft hat, wenn die Zahl der Menschen immer größer wird, die nicht mehr am Aufbau der Gesellschaft beteiligt sind – wenn also die Zahl derer wächst, die von Kindheit an auf Transferleistungen angewiesen sind und erleben, dass sie in der Gesellschaft im Grunde nicht gebraucht werden.“ Als zentrales Problem nannte Grüneberg die Kinder- und Jugendarmut. „Die individuelle und soziale Langfristwirkung auf diese Jugendlichen, die im Umfeld von Armut aufwachsen, ist für die Forschung erst in den Anfängen und für die Politik bislang eher kaum im Blick. Aber gerade diese ganzen soziokulturellen Faktoren sind es, die die Gesellschaft später doppelt und dreifach so teuer zu stehen kommen, als wenn jetzt schon effizient entgegen gesteuert würde: zum Beispiel mit einem Existenz sichernden Kindergeld, das eben genau die Teilhabe am soziokulturellen Leben ermöglicht.“ Immer noch, so Grüneberg, seien die meisten Kindergärten, Schulen und auch Kirchengemeinden eher nicht auf die „emotionalen und kulturellen Standards von Personen eingestellt, die ihrer Mittelschichtorientierung nicht entsprechen“.
Übergabe Anhaltisches Evangeliar
Bereits am Freitag waren in einem Synodengottesdienst in der Dessauer Auferstehungskirche die vier Bände des „Anhaltischen Evangeliars“ an die Landeskirche übergeben worden. 400 Menschen aus Gemeinden, kirchlichen Einrichtungen und Schulen in Anhalt sowie Künstler und Prominente hatten seit März 2004 die biblischen Evangelien auf rund 1.000 Seiten von Hand abgeschrieben und mit kommentierenden Texten und Bildern versehen. Der Kirchenpräsident dankte allen Beteiligten für die Fertigstellung des Evangeliars und betonte, mit diesem Projekt seien viele Herzen gewonnen worden. Er erinnerte daran, dass bereits 1541 allen Pfarrern in Anhalt eine von Lucas Cranach erstelle Lutherbibel zur Verfügung gestellt worden sei und sie auf diese verpflichtet wurden. In seiner Predigt sprach sich Klassohn gegen Verzagtheit angesichts zuweilen leerer Kirchen und schlechter Gottesdienstbesuche aus. „Es gibt Zeichen von neuem Leben, die Taufe und Wiedereintritte nehmen, wenn auch in bescheidenem Maße, zu. Das Interesse an der Bibel steigt. Und Menschen finden zum Glauben, wenn wir Flagge zeigen.“
Kirchenpräsident Klassohn und Dr. Alwin Fürle, Präses der Landessynode, nahmen die Bände von Verantwortlichen des Evangeliar-Projekts entgegen, von Gudrun Discher, Leiterin des Büros für Gemeindeaufbau der Landeskirche, vom Buchbinder Christian Biener sowie von Frank Gorgas, ehemaliger Mitarbeiter am Bibelturm Wörlitz und Ulrike Seifert, jetzige Mitarbeiterin am Bibelturm. Gudrun Discher äußerte ihre Hoffnung auf eine rege praktische Nutzung der vier Bände, die in den kommenden Monaten in den Kirchenkreisen der Landeskirche unterwegs sein werden. Der Dessauer Buchbinder Christian Biener, der die gestalteten Seiten in vier Prachtbände gefasst hat, bezeichnete seine Arbeit „als große Herausforderung auch nach 20-jähriger „Berufspraxis. Bei vielen Seiten musste ich einfach verweilen“. Dr. Alwin Fürle äußerte sein Erstaunen darüber, „dass ein Buch nach 2000 Jahren noch neu gestaltet werden kann“. Die vier Bände des „Anhaltischen Evangeliars“, deren Einbände der Dessauer Künstler Wilfried Meinharth gestaltet hat, sind gerade auch für den gottesdienstlichen Gebrauch zu besonderen Gelegenheiten in der Landeskirche bestimmt. Ihr zentraler Aufbewahrungsort soll das Landeskirchenamt in Dessau sein.