Evangelische Landeskirche Anhalts

"Der zunehmenden Kinderarmut entgegen treten"

Dessau-Roßlau, am – In seinem Bericht vor der Synode der Evangelischen Landeskirche Anhalts hat Kirchenpräsident Helge Klassohn die zunehmende Kinderarmut als zentrales gesellschaftliches Problem in Ostdeutschland bezeichnet. Ihr von kirchlicher Seite zu begegnen sei nicht nur Aufgabe der Diakonie mit ihren Beratungs- und Hilfsangeboten, sondern auch der Kirchengemeinden, sagte Klassohn am Freitag in der Anhaltischen Diakonissenanstalt Dessau.

Er regte an, die Nachbarschaftshilfe etwa von Frauenhilfsgruppen zu intensivieren. Die Herbsttagung des anhaltischen Kirchenparlaments hatte zuvor mit einem Gottesdienst in der Kirche Dessau-Waldersee begonnen. In seiner Rede ging der Kirchenpräsident auch auf die neue Diskussion zur Gottesfrage, zum Verhältnis von Religion und Naturwissenschaft ein, auf das Thema Frieden aus evangelischer Sicht und auf den Beitrag der anhaltischen Landeskirche zum Reformprozess der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). „Nach meiner Überzeugung sind wir in unseren Gemeinden noch nicht dazu durchgedrungen, die Situation von Armut Betroffener wirklich zu erfassen, ihnen Beteiligungschancen zu eröffnen und das Problem des Verhältnisses von Arm und Reich in unseren eigenen Reihen im Sinne des Evangeliums mit Respekt, Offenheit und Solidarität zu bearbeiten“, sagte Klassohn. „Hier sind die ‚Tafeln‘, Suppenküchen, Spielgruppen, Besuchsdienste oder die Organisation von Selbsthilfegruppen ein wichtiges Handlungsfeld.“ Weiter kritisierte der Kirchenpräsident die unterschiedlichen Löhne in Ost- und Westdeutschland: „Dieser Unterschied 17 Jahre nach der Wiedervereinigung wird mit unterschiedlicher Produktivität begründet, für die man aber kaum die ostdeutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verantwortlich machen kann.“ Er spüre derzeit „so etwas wie ein Verflüchtigen der respektvollen Erinnerung an die Selbstbefreiung der Ostdeutschen aus unfreien gesellschaftlichen Verhältnissen“ im Jahr 1989. „Das war ein ‚demokratischer Aufbruch‘, welcher nachweist, dass es hierzulande weniger Bedarf als vermutet für Nachhilfestunden im demokratischen Verständnis von Freiheit und Gerechtigkeit gibt.“ Gottesfrage / Verhältnis Religion-Naturwissenschaft In seinem Bericht warnte Helge Klassohn vor verfrühten Hoffnungen auf eine ‚Wiederkehr des Religiösen‘: „Kann man davon wirklich sprechen, wenn doch dieses neue Interesse an religiösen Themen und an der Gottesfrage zugleich durch einen massenhaften Gewohnheitsatheismus in unserer deutschen Gesellschaft relativiert wird?“ Aufgabe der Christen sei es, sich nicht eilfertig am Diskurs „über“ Gott und göttliche Dinge zu beteiligen. Vielmehr müssten sie Zeugnis „von“ Gott und seinen großen Taten in einer den Menschen nahen Sprache geben und damit seinen Namen heiligen, wie es auch am Anfang des Vaterunsers heißt. „Wir heiligen Gottes Namen, wenn wir ihn als Schöpfer der Welt und allen Lebens bezeugen.“ Vom glaubwürdigen Zeugnis jedes einzelnen Gemeindegliedes hänge auch die Glaubwürdigkeit der Gemeinde und der Kirche mit ihrer Botschaft von Gott in der Öffentlichkeit ab. Aufgaben der Kirche und auch der Landessynode seien es, Gemeindeglieder miteinander zu vernetzen, sie in ihrer Auskunftsfähigkeit zu stärken, und sie in der Überzeugung zu ermutigen, dass sie ‚aus gutem Grund‘ evangelisch seien. Zu aktuellen Tendenzen eines wissenschaftlichen Atheismus bemerkte Klassohn: „Der Glaube an Gott als den Schöpfer der Welt steht in keiner Konkurrenz zu den naturwissenschaftlichen Erkenntnismöglichkeiten, denn er gehört zu einer ganz anderen Dimension menschlichen Lebens. Glaube und Naturwissenschaft brauchen einander zum Verständnis der Welt als Ganzes.“ Die Fehleinschätzung von Vertretern eines kämpferischen Atheismus wie des Evolutionsbiologen Richard Dawkins bestehe darin, die Schöpfung nicht als Thema des Glaubens, sondern des Wissens anzusehen. Zugleich wandte sich der Kirchenpräsident gegen die Lehren des Kreationismus und des ‚Intelligent Design‘, in denen ein ideologischer Missbrauch des christlichen Schöpfungsglaubens zu sehen sei, „der Gott in unsere Welterklärung einordnet und auf derselben Stufe wie der kämpferische Atheismus steht“. Klassohn sprach sich dafür aus, im Bildungsbereich Glaube und wissenschaftliche Vernunft miteinander „unvermischt und ungetrennt“ zur Geltung zu bringen. Frieden, Friedensdenkschrift Kirchenpräsident Klassohn forderte Christinnen und Christen auf, sich von Kriegen, Hass, aber auch alltäglichen Konkurrenzkämpfen und sprachlicher Gewalttätigkeit nicht im Bemühen beirren zu lassen, eine „Kirche des Friedens“ zu werden. „Als solche treten wir deutlich und aktuell und mit Besonnenheit in der politischen Auseinandersetzung, für Abrüstung, gegen die Verherrlichung von Waffengewalt für rechtmäßige fantasievolle, menschenwürdige Antworten auf die Brutalität der Schläger ein. Wir stellen uns an die Seite aller, die mit demokratischer Gesinnung und mit Zivilcourage für Recht und Frieden in unserem Lande einstehen.“ Klassohn verwies auf die aktuelle Friedensdenkschrift der EKD und zeigte sich erfreut darüber, dass auch die Tradition der Friedensbewegung in der ehemaligen DDR darin aufgenommen werde. Situation der Landeskirche / Reformprozess der EKD Als bedrängendes Problem für die Kirchen in Ostdeutschland bezeichnete Klassohn den fortschreitenden Mitgliederverlust, vor allem durch Abwanderung und Überalterung. Er appellierte an die anhaltische Landessynode, sich besonders aufmerksam der missionarischen Ausrichtung der kirchlichen Arbeit und der Mitgliedergewinnung zu widmen. Unter anderem gelte es, evangelisch getaufte Konfessionslose in den Blick zu nehmen. Der Kirchenpräsident hob die Beiträge der anhaltischen Landeskirche zum EKD-Reformprozess „Kirche der Freiheit“ hervor und verwies auf Bemühungen, die schon seit mehreren Jahren umgesetzt würden, wie die Regionalisierung, eine neue Personal- und Stellenkonzeption, die Konsolidierung der Finanzen und die Dienstvereinbarungen für Pfarrerinnen und Pfarrer. Ende Oktober fand in Anhalt eine landeskirchliche Visitation bei Pfarrerinnen und Pfarrern statt, die besonders von den Strukturreformen betroffen worden sind. Zur bevor stehenden Abstimmung über die Fusion zwischen der Kirchenprovinz Sachsen und der Thüringischen Landeskirche bei der Synode der Kirchenprovinz Sachsen in Wittenberg sagte Klassohn: „Unabhängig vom Ausgang dieser Abstimmung wird unsere Landeskirche (auch im Sinne des EKD-Reformprozesses) am Ausbau der Kooperation zwischen unseren Kirchen und an der Stärkung der geschwisterlichen Gemeinschaft als verlässlicher und beständiger Partner weiterarbeiten. Wir müssen immer wieder darauf aufmerksam machen, dass wir in unseren Kooperationsbeziehungen schon sehr weit, viel weiter als die meisten anderen EKD-Gliedkirchen gekommen sind.“ Die Herbsttagung ist die vierte Zusammenkunft der Landessynode in ihrer derzeitigen Zusammensetzung. Sie besteht aus 33 von den Ältesten der Kirchenkreise gewählten und sechs von der Kirchenleitung berufenen Synodalen. Zwei Drittel der Synodalen sind in Anhalt Nichttheologen, ein Drittel Theologen. Die Stellvertreter der Landessynodalen werden von den Kreissynoden gewählt. Gemeindekirchenräte, Kreis- und Landessynodale werden, wie die Mitglieder des Landeskirchenrates, für sechs Jahre gewählt. Wiederwahl ist möglich. Die Evangelische Landeskirche Anhalts hat 50.400 Mitglieder. Dessau-Roßlau, 16. November 2007 Alle Berichte des Landeskirchenrats können Sie komplett unter nachlesen. www.landeskirche-anhalts.de/landeskirche/synode.php